»Wissen schafft Wissen, wie das Wissen beginnt; Wissen schafft Wissen, wie das Wissen bestimmt; wann der erste weiße Mensch, wie auf welchem Wanderweg, wo zum allerersten Mal seinen Namen in den Schnee gepisst, die rote Flagge, grüne Flagge, das blaue Bouclier gehisst, Land- karte gezeichnet, Strandlage vermerkt, die Krankheiten verbreitet, die Landfrage geklärt, in vierundzwanzig Bänden alles klassifiziert, in vierundneunzig Ländern alle rassifiziert, in Subkategorien, Sub-subkategorien, in Karos, Kästchen, Bestien und Barbaren, in messbaren Verfahren, um Haut und Haar, Zahn und Nase, Krümmung der Zunge im Wind bei vierzig Grad, Wissenschaft, trockene Schmetterlinge.« Philipp Khabo Köpsell, 2010
WISSEN
Die Wissenschaftler und Forscher, die sich aufmachten, die weißen Flecke ihrer Landkarten zu entdecken und ihre weiße Welt mit Wissen zu füllen, waren Wegbereiter der kolonialen Eroberung. Wo immer sie anlandeten kartierten sie, kategorisierten sie, ordneten und definierten sie und produzierten auf diese Weise ein Wissen über die Welt, welches als Grundlage der Unterwerfung und Nutzbarmachung ganzer Landstriche und deren Bevölkerungen diente.
Im Geiste der Wissenschaft wurden aber nicht nur Landschaften, Flora und Fauna katalogisiert, sondern auch die Menschen. Sie wurden wie Tiere, Pflanzen und Objekte gesammelt, vermessen und als Anschauungsobjekte nach Europa verschleppt, wo sie der Schaulust der dortigen Bevölkerungen ebenso ausgeliefert waren, wie dem Drang von Wissenschaftlern sie zu erforschen und in ein rassistisches Weltbild einzuordnen, welches die Erforschten zu Anderen, Untergeordneten machte, um den weißen Europäer an die Spitze zu stellen.
Obwohl diese Eindimensionalität, Zufälligkeit und Brutalität der kolonialen Wissensproduktion zunehmend in Frage gestellt wurde und wird und mit widerständigen und dekolo- nisierenden Wissensprozessen provinzialisiert wurde, prägt sie noch heute die Art und Weise wie Wissen erzeugt, ver- waltet und verbreitet wird. Die von postkolonialen Theoretiker_innen gestellten Fragen nach der Herkunft von Wissen, der Verstrickung von Wissenskomplexen und Machtverhältnissen, sind deshalb nach wie vor virulent: Was ist dieses Wissen, auf das wir uns beziehen? Woher kommt es, wie ist es entstanden? Wem hören wir zu? Welche Positionen hören wir nicht? Wer ist wir?