»Die Stadtlandschaften Europas und Deutschlands sind geprägt von Spuren der Kolonialvergangenheit und Relikten kolonial-rassistischer Ideologie. Straßennamen vergegenwärtigen den ehemaligen ›Kolonialbesitz‹, erinnern an einst beanspruchte Regionen, Orte und Ressourcen oder tragen Bezeichnungen, die Schwarze Menschen diskriminieren. Selbst koloniale Akteure werden bis heute unkommentiert mit Straßen- namen und Denkmälern geehrt, ›durch die Kolonialisten noch immer glorifiziert und Kolonialisierte weiterhin gedemütigt werden‹ (May Ayim).« Resolution Freedom Roads, 2010
KOLONIALE AKTEURE UND VERBRECHER
Nach »Verlust« der deutschen Kolonien 1919 begann eine kolonialrevisionistische Bewegung mit Propaganda für die Rückgewinnung der Kolonien. Straßen wurden nach Kolonialverbrechern benannt und Denkmäler errichtet. Kolonialromane wie Hans Grimms »Volk ohne Raum« erreichten höchste Verkaufszahlen. Ab 1933 wurden die Organisationen der Kolonialbewegung im Reichskolonialbund zusammengeschlossen und in den NS-Staat integriert.
In den Jahren nach 1945 waren die ehemaligen Kolonien in der deutschen Öffentlichkeit kein besonders präsentes Thema. Allerdings waren die Traditionen in der Bundesrepublik ungebrochen: Beim Begräbnis des Kolonialveteranen Paul von Lettow-Vorbeck sprach 1964 der Verteidigungsminister und lobte ihn als Vorbild für die Jugend. Koloniale Straßen- und Kasernennamen sowie Denkmäler blieben in der Bundesrepublik bis auf wenige Ausnahmen bestehen.
Mit Aktionen wie dem Sturz des Wissmanndenkmals in Hamburg 1968 wurde die deutsche koloniale Vergangenheit wieder in die Öffentlichkeit gerückt. In der Folge verbreitete sich zaghaft eine kritische Sichtweise auf die deutsche Kolonialgeschichte. Gleichzeitig wurde und wird aber von einer Traditionspflege, die sich positiv auf den Kolonialismus bezieht, nicht abgelassen. Erst seit den 1990 er Jahren wird diese koloniale Erinnerungskultur zunehmend offensiv in Frage gestellt und deutsche Kolonialverbrechen thematisiert. Wenn jedoch im Zuge dieser Aufarbeitung koloniale Straßennamen oder Denkmäler umgewidmet oder umbenannt werden, stößt dies in Teilen der Bevölkerung nach wie vor auf heftigen Widerstand.